Gudrun Gut: Wildlife
05. Oktober 2012
Monika / Indigo
Verlass die Stadt rief einem die Wiener Musikerin Gustav vor ein paar Jahren zu, und fast schon richtungsweisend verortete dieses Album die Pop-Musik zwischen Protest- und Abgesang. Raus aus der Stadt, rein ins noch unbekannte, wilde, andere Leben. Da in diesen Tagen sowieso niemand mehr weiß, ob sich die Sehnsucht nach einem Leben jenseits von Medien, Netzwerken und Märkten im endlosen Aufbruch, im endgültigen / zeitweisen Ausstieg oder im (un-) bewussten Rückzug verwirklichen lässt, darf der Pop so schön schillern, wie nur er es kann, und empfiehlt sich deshalb schon als das prädestinierte Genre für derlei Fluchtbewegungen.
The little things are big
Wildlife heißt nun das neue, erst zweite (Solo-) Album von Gudrun Gut. Das eröffnet ganz programmatisch: mit Protecting My Wildlife gibt die Sängerin in einer Reihe von losen Assoziationen ihre Wege zum wilden (freien) Leben preis:
in den Himmel schauen / Sachen machen / die kleinen Sachen / Nebensachen / anders sehen / sich anders sehen / die Lupe nehmen … / Seen sehen / barfuss gehen / selbstbestimmen / treiben lassen / Natur rein lassen / in ihr sein
Einst Mitbegründerin der Einstürzenden Neubauten, dann Labelgründerin und Moderatorin des Ocean Club, scheint die eigene Musik für Gudrun Gut eine Insel der Versenkung und der Rückbesinnung zu sein: ein Ort, wo sich in einer Art écriture automatique Gedanken entwickeln und Momente entfalten, wo in größter Ruhe Fragen umkreist und stehengelassen werden können. Gut macht mit ihrer Musik den Weg frei nach innen, denn dort, mitten unter / in uns, findet sich das Wildlife, das mit diesem Album ein unablässig, zuversichtlich pulsierendes Naturschutzgebiet erhält.
Die Richtung ist hier vollkommen klar, und ein anderes Leben ist ohne Einschränkung möglich: das Leben, das wir suchen, tragen wir doch längst mit uns.
ein Garten mit ner Sonne / ein Garten mit nem Mond / ein Garten mit viel Sternen / ein Garten, der sich lohnt / weil er in dir wohnt
Musikalisch enorm reduziert, fast monoton, könnte Wildlife spannenderweise in weiten Teilen auch von den Einstürzenden Neubauten stammen, so sehr vibrieren die Bässe und Beats, so hypnotisch gelingen die Maschinenklänge. Gudrun Gut aber richtet sich zugleich irgendwo in der goldenen Mitte zwischen Ellen Allien und Barbara Morgenstern ein und überholt ganz nebenbei auch noch Tina Turner, ohne sie einzuholen.
Ein Album, mit dem man über den Winter kommt. Der Kalauer sei verzeihen: aber Gudrun tut gut. Rundum.
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