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Interview
Musiklegende Gudrun Gut über Feminismus im Musikgeschäft
Von Ann-Kathrin Riedl
11. Oktober 2018
Kaum jemand hat die deutsche Underground-Musikszene so stark geprägt wie Gudrun Gut. Am Rande der diesjährigen Red Bull Music Academy im Berliner Funkhaus hat sie mit uns über deutsche Musiktradition, ihre Anliegen als Feministin und über die Zufriedenheit mit dem, was man erreicht hat, gesprochen.
Gudrun Gut ist fleischgewordene deutsche Musikgeschichte. Über vier Jahrzehnte lang hat sie den Berliner Underground miterlebt und mitgestaltet: Angefangen in den 70er-Jahren als Mitglied der Punkband Mania D., später im Umfeld der Kunstbewegung “Geniale Dilletanten” und als eines der Gründungsmitglieder der legendären Einstürzenden Neubauten neben Blixa Bargeld und Beate Bartel, danach mit der Band Malaria!, die sie zusammen mit Bettina Köster gründete, schließlich als Solokünstlerin und Labelgründerin.
Rückblickend gilt Gudrun Gut als eine der wichtigsten Vordenkerin der elektronischen Musik. Trotzdem ist ihr Name in der breiten Masse nur wenig bekannt. Welchen Grund sie dahinter vermutet und vieles mehr erfahren Sie hier:
Über ihr Aufwachsen in der deutschen Provinz
“Ich bin in einem kleinen Kaff in der Lüneburger Heide groß geworden. Aber dort gab es einen Mailorder-Versand, den Flash-Shop, der Underground-Platten nach ganz Europa verschickt hat. Die hatten Sachen, die man in Deutschland zu der Zeit sonst nirgendwo bekommen hat, White Noise, Henry Cow und so was. Damals gab es den Virgin-Vertrieb noch nicht, also haben die alles übernommen. Nach der Schule habe ich dort gearbeitet. Das war für mich die Quelle, um an neue Musik zu kommen.
Es fällt mir schwer, mich in die Zeit zurückzuversetzen, als ich 15, 16 war. Ich war ein endschüchternes Mädchen, aber ich habe mich gern verrückt angezogen. Und ich habe mich schon immer für andere Musik interessiert als die Menschen um mich herum. Das allein heißt aber natürlich nichts. Mit mir im Flash-Shop hat damals ein Typ gearbeitet, der später CDU-Landrat wurde. Das hat mich geschockt, weil ich dachte, dass aus Menschen, die sich für experimentelle Musik begeistern, keine CDU-Politiker werden könnten. In dieser Musik steckt ja auch eine alternative Lebensauffassung.
Aber es kommt im Leben eben oft auf Zufälle an, die dich in diese oder jene Richtung treiben. Und darauf, ob du sie annehmen willst, wenn sie kommen. Er hat wohl von einem anderen Leben geträumt als ich, mit ordentlich Geld. Ich wollte aber immer etwas Neues ausprobieren, Grenzen durchbrechen, aufgeregt sein. Mich auf gar keinen Fall langweilen. Und leider langweile ich mich schnell. Aber wenn ich etwas wirklich will, dann kann ich auch beharrlich sein und gebe nicht schnell auf. Ich bin ja Stier als Sternzeichen.”
Über die Mär vom sorglosen Künstler
“1975 bin ich nach Berlin gezogen, erst mal habe ich an der Hochschule der Künste studiert. Dort habe ich unglaublich viele Leute kennengelernt, weil das ein Sammelbecken war für alle, die keine klassischen Sachen machen wollten. Bettina Köster war dort, mit der ich später Malaria! gegründet habe. Dann kam schnell die Musik: DIN A Testbild, Mania D. und die Einstürzenden Neubauten. Ich habe immer sehr viel ausprobiert, war rastlos. Aber das hing auch mit anderen Faktoren zusammen.
Mit Malaria! waren wir sehr erfolgreich, aber wir wurden nie richtig vermarktet. Andere Bands haben irgendwann Labels gefunden, die sie unterstützt haben, aber wir mussten immer alles aus eigener Kraft wuppen, und irgendwann ging das nicht mehr. Wir sind pausenlos aufgetreten, überall auf der Welt. Als wir uns trennten, waren wir ausgebrannt. Es ist eine Mär, dass in der Underground-Musik alles einfach so aus dem Handgelenk geschüttelt wird. Dass man die Nächte durchfeiert und sich nebenbei irgendwelche genialen Sachen ergeben. Aber so soll es am Ende natürlich klingen. Man soll die Mühe nicht spüren. Wenn man sie spürt, ist es nicht mehr cool. Aber der Weg, bis man etwas wirklich Gutes erschafft, ist in Wahrheit ein ziemlich langer. Und er kostet sehr viel Kraft.”
Über Frauen in der Musik
“Dass wir mit Malaria! keinen großen Durchbruch hatten, hing natürlich auch damit zusammen, dass wir Frauen waren. Wir hatten oft den Eindruck, unsere Arbeit würde im Vergleich zu der von Männer-Bands weniger anerkannt. Alle unsere männlichen Freunde aus der Szene wurden irgendwann unter Vertrag genommen, nur wir nicht. Das kam uns komisch vor. Warum? Wir haben ja in den gleichen Locations gespielt, haben uns abgerackert und waren viel verlässlicher, als wir vielleicht aussahen. Aber immer wenn wir Demos verschickten, hagelte es Absagen. Es gab da dieses Stigma: Das sind die hübsch aussehenden Girls, aber die können doch nichts. Im Nachhinein bin ich nicht böse darüber, wie es gelaufen ist. Natürlich wäre mein Leben einfacher gewesen, wenn wir kommerziellen Erfolg gehabt hätten. Aber so war es eben aufregender und freier.”
Über ihr feministisches Anliegen
“Es gab eine Zeit, in der ich dachte, dass es mit Frauen in der Musik bergauf gehen würde, aber dann ist diese Entwicklung im Sande verlaufen. Mitte der 70er gab es eine große feministische Szene in Berlin. Plötzlich wurden Frauen-Cafés und Frauen-Zeitungen gegründet. Es gab auch relativ viele Frauen-Bands, gerade im Punk. Aber plötzlich, scheinbar über Nacht, waren die wieder verschwunden. In den 90ern, als sich dann in Berlin der Techno entwickelte, war es ähnlich. Wenn eine neue Bewegung anfängt, sind immer viele Frauen dabei, die das alles mittragen und organisieren. Aber wenn das Ganze professionalisiert wird, wenn es um Geld und Macht geht, werden sie rausgekickt.”
Über sich selbst als politische Künstlerin
“Ich habe mich immer auch als politische Künstlerin gesehen. Mit Malaria! hatten wir gleich am Anfang das Lied ‘Kämpfen und Siegen’. Es ging um Hausbesetzung und den Straßenkampf. Mein Hauptanliegen war und ist aber die Frauenfrage. Ich brauche ein konkretes Ziel, will mich da nicht zu sehr verzweigen.
Als ich mein eigenes Label Monika Enterprise gründete, habe ich nicht darüber nachgedacht, dass es ein feministisches Label werden könnte. Aber mich hat Musik von anderen Frauen interessiert, also habe ich ein paar mehr unter Vertrag genommen, als andere Labels das taten. Barbara Morgenstern war darunter oder auch Cobra Killer. Ich habe einfach das gängige Verhältnis umgekehrt. Lange habe ich das überhaupt nicht thematisiert. Aber dann ist mir irgendwann doch alles zu sehr auf den Sack gegangen, weil sich einfach so gar nichts bewegt hat. Und dann hatte ich eines Tages ein Interview und wurde gefragt, ob ich mich selbst als Feministin bezeichnen würde. Ich habe lange überlegt. Damals in den 90ern war es verpönt, sich selbst zu definieren, weil wir diese großen Konstrukte viel zu blubberig fanden. Aber dann habe ich Ja gesagt. Und das hat für mich selbst einen riesigen Unterschied gemacht. Ab dem Zeitpunkt habe ich mich voll und ganz hinter diese Sache gestellt.”
Über deutsche Musiktradition
“Speziell mit Malaria! haben wir uns sehr damit beschäftigt, was denn eigentlich eine deutsche Musiktradition ist und wo wir anknüpfen können. In Amerika gab es so was ja auch, Blues, Rock ‘n’ Roll… Aber das war eine ganz schön schwierige Suche. Während der Nazizeit gab es nichts, und danach kamen Heile-Welt-Fantasien, also Schlager, die einem vorgaukelten, alles wäre gut. Total verständlich, das brauchten eben die Leute, die den Krieg miterlebt hatten. Aber wir, die junge Generation, wollten das nicht. Wir wollten das echte Leben spüren, nicht verschaukelt werden. Also haben wir in der Geschichte geforscht, vor allem in den 20er-Jahren. Kraftwerk, Can, Neu!, der ganze Krautrock, war auch wichtig für uns. Und natürlich Punk, weil da plötzlich eine neue Haltung ins Spiel kam. Alles vergessen und noch einmal neu anfangen.
Auf Deutsch zu singen, war uns wichtig. Es war ursprünglicher. Wenn wir im Ausland auftraten, wurden wir oft die Teutoninnen genannt. Man versucht ja immer, einem irgendwelche Klischees aufzudrücken. Wir haben aber auch ein paar Songs in Englisch aufgenommen. Wenn man in Großbritannien im Radio gespielt werden wollte, musste man das tun. Aber das war viel allgemeiner, simplifizierter. Es war also alles sehr durchdacht, was wir gemacht haben. Aber es gab kein Kalkül dahinter. Wir wollten einfach Kunst machen, etwas erschaffen, und wir waren gelangweilt von der Musik, wie es sie gab. Große Karrieren fanden damals sowieso nur in Großbritannien und Amerika statt. In Deutschland gab es erst ab den 80ern ein Business, als die ganzen kleinen Independent-Labels entstanden. Vorher waren da nur die großen Plattenfirmen.”
Über Stil und Äußerlichkeiten
“Deine Kleidung macht etwas mit dir. Das kann niemand bestreiten. Sie war mir immer wichtig, als ich nach Berlin kam, hatte ich zusammen mit Bettina Köster sogar einen eigenen Laden, das Eisengrau, da haben wir Pullover gestrickt und alles Mögliche verkauft, das war auch ein Treffpunkt für die Leute aus der Szene.
Heute sehe ich natürlich ganz anders aus als früher. Im Moment trage ich ständig Anzüge. Ich mag das Gefühl, das sie einem geben: Man fühlt sich beschützt. Ich liebe auch Schulterpolster. Für meine neue Platte bin ich mit meinem Stylisten durch die Secondhand-Läden gezogen, und wir haben nach alten Nadelstreifenanzügen gesucht. Zuerst wollte ich die auseinanderschneiden und neu zusammennähen, so wie ich es früher gemacht hätte. Aber er sagte zu mir: Das sieht doch gut aus, lass das so.
Ich war lange in dieser Grufti-Bewegung unterwegs, in der vieles verkleistert und romantisiert wurde, aber irgendwann hat mir das gereicht. Man durfte nichts richtig beim Namen nennen. Heute ist mir das ganze verspielte Zeug zu viel. Ich habe immer noch meine exzentrischen Klamotten von damals im Schrank, aber mir ist die Romantik abhanden gekommen, nicht nur in der Mode. Jetzt ist mir Realismus lieber. Ich mag es strenger. Ich habe auch gemerkt, dass ich mich nicht mehr so stark über meinen Stil definiere wie früher. Ich habe vieles abgelegt, weil ich festgestellt habe, dass ich es nicht mehr brauche. Für Rüschen gibt es in meinem Leben heute keinen Platz mehr.”