Interview mit Berliner Underground-Ikone
Bettina Köster: „Viele Jungs wollten nicht mit uns arbeiten“
2. Dez. 2021 Walter Crasshole
SIEGESSÄULE sprach mit Bettina Köster, Sängerin der legendären Berliner Post-Punk-Bands Mania D. und Malaria!, über Freiheitsgefühle, Nena, Zellgedächtnis und queere Identität
Anfang November erschien mit dem Buch „M_Dokumente“ eine gelungene Würdigung der Berliner Post-Punk-Ikonen Mania D., Malaria! und Matador. Die in unterschiedlichen Besetzungen um die drei Musikerinnen Bettina Köster, Gudrun Gut und Beate Barthel gruppierten Bands gehörten zur Speerspitze der deutschen New-Wave-Avantgarde. Vor allem Malaria! konnten mit Songs wie „Kaltes klares Wasser“ oder „Your Turn To Run“ auch international Erfolge feiern und wurden in Folge zum Einfluss für viele feministische Bands auf der ganzen Welt.
Bettina, warum habt ihr euch entschieden, die „M_Dokumente” zusammenzustellen? Gudrun Gut hatte die Idee lange vor mir. Ich habe mich dann mit engagiert, weil ich aus dieser Zeit eigentlich nichts besitze. Fotos oder Schallplatten oder was auch immer, das ich von damals hatte, habe ich entweder verschenkt oder zurückgelassen, weil ich tausendmal umgezogen bin. Dieses Buch zu machen, war für mich eine coole Möglichkeit, um an all diese Fotografien von damals zu kommen. Abgesehen davon war es, denke ich, auch wichtig für Beate Bartel, Gudrun und mich – das Buch haben wir zu dritt gestaltet – die Sache im Nachhinein ein bisschen richtig zu stellen.
Was meinst du damit? Was muss im Rückblick denn richtig gestellt werden? Bisher wurde zu wenig betont, wie wichtig die Energie zwischen uns war. Kürzlich gaben einige von uns ein Konzert bei der Ausstellung „M_Dokumente“ im silent green im Wedding – unter dem Namen „Die Mücken“, weil ich mich weigerte, das ganze Malaria! zu nennen. Es waren schließlich nur drei von uns an diesem Konzert beteiligt. Im Anschluss kam Gudrun zu mir und sagte, dass etwas ganz Seltsames mit ihrem Körper passiert sei, als wir auf der Bühne standen. Und ich antwortete: „Das ist das Zellgedächtnis.“ Also die Erinnerung an etwas, das wir gemeinsam hatten, das zwischen uns, unter uns geschehen ist.
„All das andere ist vergeben und vergessen. Letzten Endes sind wir jetzt wirklich Freunde“
Bei der Erstellung des Buches: gab es etwas, das dich überrascht hat? Was mich aber überrascht hat: Wir waren ja 30 Jahre quasi nichts miteinander zu tun gehabt. Über Jahrzehnte haben Gudrun Gut und ich nur noch über Anwälte kommuniziert. Da waren viele unerledigte Sachen zwischen uns. Dann haben wir uns letzte Woche im Silent Green getroffen, alle fünf zusammen. Und all die Dinge, die passiert waren – schreckliche Sachen, Dinge, für die wir uns hassten – waren passé. Übrig blieb einfach die Freude, sich wiederzusehen. Das ist das, was ich vor allem daraus mitnehme. All das andere ist vergeben und vergessen. Letzten Endes sind wir jetzt wirklich Freunde.
Alle drei M-Bands bestanden nur aus Frauen. Warum war euch das wichtig? Ich beginne mit einer schrecklichen Antwort: Alle Frauen von Mania D., Malaria! und Matador hatten den Ruf, schwierig zu sein. Viele Jungs wollten deshalb nicht mit uns arbeiten. Inklusive denen, die bei den Plattenfirmen tätig waren. [lacht] Was soll ich sagen? Aber die Realität sah so aus: immer, wenn wir mit Jungs zusammen spielten, drehten die ihre Verstärker zu laut auf. Du warst also beim Proben oder auf der Bühne und konntest dich selbst nicht hören. Die andere Sache war: die Mädchen waren viel hübscher.
„In West-Berlin wussten wir nicht einmal, welche sexuelle Orientierung wir hatten“
War es in dieser Szene für dich als offene Lesbe schwer? In West-Berlin wussten wir nicht einmal, welche sexuelle Orientierung wir hatten. Als wir die Ausstellung zusammenstellten, kam ein Freund mit einem Foto von mir aus dem Jahr 1978 an, auf dem ich Krawatte trug und kurze Haare hatte. Ich hatte vorher noch nie darüber nachgedacht, aber als ich das Foto nach all den Jahren wieder sah, da dachte ich bei mir: Danke! Heute gibt es ein Wort dafür: nicht binär! Ich finde das super interessant: 40 Jahre ist das her… Stell dir mal vor, wir hätten damals schon gewusst, dass so etwas existiert.
Wie haben die Leute damals darauf reagiert? Ich bin 1978 (zum zweiten Mal) nach Berlin gezogen, und das war die Stadt, in der man machen konnte, was man wollte. Totale Freiheit. Man hat sein Auto nicht nur in zweiter, sondern in dritter Spur geparkt; man ist auf der Straße zusammengebrochen und ein Passant hat einen kurzerhand auf den Bürgersteig gehievt. Es war schäbig, aber es war das Paradies.
Vielen ist heute nicht bewusst, wie einflussreich die erste Band Mania D. tatsächlich war. Das lag nicht so sehr an der Single, die wir aufgenommen haben. Das Außergewöhnliche waren die Live-Auftritte. Es war diese Zeit in Berlin, als die heute superberühmten Maler keine Galerien fanden, wir Musiker keine Veranstaltungsorte, die Filmemacher hatten auch keinen Ort für ihre Sachen. Wir haben uns zusammengetan und Räume gefunden, an denen wir auftreten konnten. Wir hatten auch ein Konzert in New York. Unsere damalige Bassistin Karin Lunar war mit der gesamten No-New-York-Szene befreundet. Wir haben dieses berühmte Konzert im Tier 3 gespielt, dem coolsten Club. Es war so schrecklich. Aber Beate erzählte mir Jahre später, dass sie Thurston Moore [von Sonic Youth] getroffen habe, und ehr ihr erzählt hätte, dass er bei eben diesem Konzert von uns war. Und als er sah, was wir dort taten, hätte er zu sich selbst gesagt: „Nun, wenn diese Mädchen das können, dann kann ich auch eine Band gründen.“ Das war also die Essenz von Mania D. Die Platten waren es nicht, aber die Auftritte waren es.
„Wir haben dieses berühmte Konzert im Tier 3 gespielt, dem coolsten Club. Es war so schrecklich“
Du und Nick Cave haben zusammen ein Duett geschrieben und gespielt… Ich erinnere mich nicht an den ganzen Text davon, aber ein Teil lautete: „Wir hatten tolle Stoßzähne!“ So merkwürdig waren wir damals. Wir hatten eine wirklich großartige Zeit zusammen.
Malaria! war ein großer Teil des Films „B-Movie“ (2015) über die West-Berliner Avantgarde-Szene der frühen 80er. Hat die Aufmerksamkeit für die M-Bands danach zugenommen? Ich habe nur einen Teil des Films gesehen. Meine Mutter regte sich so darüber auf, dass ich ihn abschalten musste. Du hörst meine Stimme ständig und dann dreht sich aber alles um Gudrun. Gudrun ist in meinem Laden, Eisengrau, und sagt: „Oh, eine Freundin hat mir geholfen.“ Und in diesem Moment, als ich mir die Szene mit meiner Mutter im Fernsehen angeschaut habe, sprang sie auf, schnaubte und sagte: „Wie kann sie es wagen?! Du hast dein gesamtes erstes Erbe für diesen Laden ausgegeben und sie hat nichts hineingesteckt und jetzt tut sie so, als wärst du die ‚Freundin, die ihr geholfen hat‘.“ Im Ernst, die haben für den Film nicht sehr gut recherchiert. Der arme Mark Reeder, sie haben ihn nur benutzt, als Experten für West-Berlin, und sie haben einfach alles zusammengeschnitten, was sie finden konnten. Der Film ist nicht ernst zu nehmen. Ich musste abschalten, als plötzlich Ideal oder Neonbabies im Film auftauchten. Ich mag die Leute, aber diese Bands hatten nichts mit unserer Zeit zu tun.
„Eines der bemerkenswerten Dinge über die Mädchen von Mania D. und Malaria! ist, dass wir Mut hatten“
Die Neue Deutsche Welle war eine ganz andere Welt als das, was ihr gemacht habt … Es war einfach nicht unsere Art von Musik. Vor nicht allzu langer Zeit rief mich jemand vom ZDF an und sagte, Nena plane eine Dokumentation über ihr Berliner Leben. Und sie wollten das SO36-Filmmaterial von Malaria! verwenden … worauf ich mit „Nein!“ antwortete. Dem stimme ich nicht zu. Diese Dame hat das SO36 nie betreten. Nur weil es für das ZDF oder was auch immer ist, werde ich nicht so tun, als wäre Nena etwas, das sie nicht ist. Ich muss aber sagen: Unsere Proberäume lagen direkt nebeneinander. Und obwohl wir sie nicht mochten und manche Leute nicht wollten, dass wir mit ihnen reden, ging ich oft rüber und sagte „Hallo, wie geht’s euch?“
Im Lauf der Jahre wurden eure Bands von vielen Musiker*innen als Einfluss genannt. Eines der bemerkenswerten Dinge über die Mädchen von Mania D. und Malaria! ist, dass wir Mut hatten. Und ich bin wirklich stolz, heute sagen zu können, dass wir durch diesen Mut einige Leute inspiriert haben.
Übersetzung des Interviews aus dem Englischen: fs, jano