AGF & Sonae
„Auf der Suche nach den Bedingungen zur Verweigerung des abgekoppelten Massenspaß“
Setzt man sich mit den künstlerischen Arbeiten von Sonae und AGF auseinander, hält einen nichts lange an der puren Oberfläche. Die beiden Musikerinnen sind nicht umsonst dafür bekannt, sich mit großer Ernsthaftigkeit an Sounds und der Welt abzuarbeiten. Und doch gelingt es ihnen der Schwere der Themen und Klänge, die dies mit sich bringt, mit großer Lebensfreude zu begegnen, auch wenn diese erstmal gut hinter den aktuellen Albumtiteln verstecket wird (bei Sonae: “I Started Wearing Black”, bei AGF: “Solidicity”).
Für kaput haben sich Antye und Sonia schriftlich unterhalten.
AGF: Sonia, danke für dein Album. Nachdem wir mit Monika in der Werkstatt kollaboriert haben, hatte ich diese sonischen Dimensionen erwartet. Was bedeuted Dir Techno/Clubkultur oder deren Referenzen und Ästhetiken?
Sonae: Ich finde es wichtig, den Technoclub als Raum für Hörerlebnisse zu bewahren. Dass experimentelle Musik im Clubkontext zunehmend vertreten ist, finde ich gut und richtig. Denn schräge, ungewöhnliche, seltene, sperrige, spleenige Musik steht nicht nur für eine künstlerische Dringlichkeit in der Elektronik, sie bietet auch eine Intensität, in die man sich wunderbar vertiefen kann. Tanzen lässt sich auch auf kryptische Muster, es lässt sich herrlich frei dazu bewegen.
Ich hoffe, dass die Clubreferenzen in “I Started Wearing Black” klar genug formuliert sind, um auch als solche wahrgenommen zu werden. Dass du mit deinem aktuellen Album “Solidicity” beim diesjährigen CTM Festival im Berghain gespielt hast, passt für mich wie Faust auf Auge. Dieses Gebäude und seine Atmosphäre ist für die Präzision, Sharpness und Räumlichkeit deiner Sounds wie gemacht.
Antye, darf ich fragen, wie Clubpublikum mit deiner Musik umgeht? Wird eher gelauscht? Wird darauf getanzt?
AGF: Listening, so im Sinne von gemeinsam zuhören. Ich spiele ja keine Clubnächte. Das Berghain unter der Woche ist nicht das Berghain, das jeder kennt. Ich denke nicht, dass meine Tracks im Clubkontext funktionieren, dafür sind sie auch nicht gemacht, sie bedienen sich der Ästhetik und Klangfarbe unserer Zeit. Sie sind aber gleichzeitig unquantisiert und unregelmäßig, den Regeln des Clubs entgegen.
Allerdings habe ich bemerkt, dass es die contemporary dance culture liebt, meine Tracks für Tanzperformances zu benutzen Mein Stück “Radical Self” (feat Kuba Khademi) schaffte es im letzten Jahr in in die Endrunde der bekannten Show Do You Think You Could Dance (#SYTYCD). Choreographen benutzen meine Musik oft – leider oft ohne mich als Autorin zu erwähnen, geschweige zu rewarden.
Ich habe in letzter Zeit viel über den Club als Ort nachgedacht. Für mich stellt Musik, die in austauschbaren Kontexten funktioniert, ein Problem dar. Techno läuft ja beispielsweise mittlerweile ja auf einer Start-Up-Eröffnungsparty genauso lwie beim Oktoberfest. Selbst die Traktorfahrer auf der finischen Insel, wo ich lebe, blasen fetten Techno aus ihren Maschinen. Das meine ich nicht elitär, sondern ich suche nach den Bedingungen zur Verweigerung des abgekoppelten Massenspaß. Oder wenn man das umdreht: Ich bekomme von den organisierten Chören in den Fußballstadien Gänsehaut. Welche Inhalte könnte man hier stattdessen schreien? Zum Beispiel “Stop mit dem Aufrüsten” oder “WIR FORDERN Umverteilung von REICHTUM”. Es kommt mir immer wie totale Energieverschwendung vor.
Sonae: Mir ist auch aufgefallen, dass beide Alben politisch sind. Womit wir ja nicht alleine sind, ich habe die Szene schon lange nicht mehr so politisch erlebt, wie in den letzten Jahren. Wie ging es dir damit? Politik – Elektronikszene – die Entstehung deines Albums?
AGF: Meine Shows sind auch explizit politisch aufgestellt. Zum Beispiel habe ich meine Show auf der diesjährigen CTM mit einem Zitat von Ursula Le Guin begonnen, das kann man auch auf meine soundcloud runterladen.
Sonia, was liegt Dir am Herzen ?
Sonae: Ich würde mir wünschen, dass sich gerade im Club den Regeln des Clubs widersetzt wird. Das fänd ich sehr gesund!
Antye, in deiner Verweigerung von Bedienbarkeit und Massenspaß bist du nicht alleine: ich frage mich schon lange, wann dem Menschen die “Freude an der Freude” abhanden gekommen ist; mir scheint, irgendwann wurde Freude gegen Spaß ausgetauscht – oder ich bin einfach hoffnungslos romantisch, das mag sein. Doch finde ich, dass es sich lohnt, sich an einem Thema abzuarbeiten, ich finde es lustvoller, mich von einem unzuverlässigen Narrativ überraschen zu lassen, als mir redundant etwas Vorhersehbares bestätigen zu lassen.
Und das beschreibt lediglich das musikalisch sinnliche Moment – es lässt sich weiter formulieren: ich tu mich schwer mit Ja-Sager-Elektronik, mit Konsenstechno. Ich finde, dafür stellen sich da draußen zu viele Fragen, und ja: hier wird es politisch. Nun kann man behaupten, da mag ein wenig Spaß und Ablenkung nicht schaden – gut, doch für diesen Spaß sind Entertainer_innen zuständig, nicht aber Künstler_innen. Ich finde, Protagonisten_innen der elektronischen Musik stehen heute in der Verantwortung, sich positionieren zu müssen: bin ich Entertainer_in oder bin ich Künstler_in?
AGF: Welche Texturen hast du in Deinem neuem Album eingesetzt und warum?
Sonae: Tatsächlich ist mein Album eine Sammlung geopferter Tracks, getötet, um zu etwas neuem zu werden. Mir waren zwei Dinge wichtig:
Zum einen wollte ich mich auf keinen Fall wiederholen, ist ja mein zweites Album.
Zum anderen will mir die Frage nicht aus dem Kopf: Wie klingt elektronische Musik im Hier und Jetzt? Was ist modern, zeitgemäß, was ist eine Infragestellung des Gewesenen, gleichzeitig ein Vorankommen? Ich wollte ein modernes Album, gleichzeitig nicht recht wissend, was das überhaupt sein soll, dieses “modern”. Ich hatte keine Antwort.
Darum hab ich eine ganze Zeit mit Recording verbracht von verschiedenen Instrumenten und gesammelten Materialien. Danach hab ich endlos lange editiert, Instrumente und Soundbanks gefüllt, damit wirklich jeder Ton von mir ist. Das fand ich furchtbar traditionell, doch handwerklich wichtig. Die fertigen Tracks hab ich dann nicht als Ergebnis betrachtet, sondern als Ausgangsmaterial. Dann hab ich zerstückelt, verdreht, verschoben, geschichtet, geremixed, gestaucht, gekürzt. Es war ein Übersetzungsprozess meiner intuitiv viel zu traditionellen Sprache in eine zeitgemäße Form, ein Update; gleichzeitig Auseinandersetzung mit innen und außen. Enorm wichtig war mir auch die präzise Formulierung von Sounds – daß man soviel Zeit in einen einzelnen Ton investieren kann, das hätte ich nie gedacht. So habe ich drei Jahre an dem Album gearbeitet.
Aber so etwas ähnliches wollte ich dich auch fragen: Warum diese Sounds und in dieser Präzision? Bis an den Rand der Isolation? Mir scheint, dass deine Tracks zwar eine Botschaft übermitteln, was die Titel ja auch signalisieren, dass sie sich dabei aber einer traditionellen Ausformulierung verweigern. Kannst du diesen Eindruck nachvollziehen? Wolltest du das so? Oder hörst du deine Stücke ganz anders? Wie bist du dein Album angegangen?
AGF: “Solidicity” ist mein 31. Album. Ich arbeite seit 25 Jahren mit Audio also Produzentin. Erst kürzlich habe ich festgesstellt, dass es wahrscheinlich nichts natürlicheres für mich gibt, als Sample-Banks zu designen, und programmieren. Was für eine seltsame Spezialität. Es bringt mich so “in the zone”. Das ist natürlich unglaublich leichter geworden seit den 90er Jahren – aber dann auch nicht, weil jede Klangästhetik mit mehr Geschichte aufgeladen ist und hinterfragt werden muss.
Mein Startpunkt ist immer mein Klangmaterial , meine Beziehung zum Sound und der Herkunft, des Ownerships des Klangs. Damit meine ich, habe ich den Klang selber erzeugt, aufgenommen…
“Solidicity” kam in wenigen Wochen aus mir raus. Ich hatte das letzte Jahr konzentriert and mit ziemlich schwerem Material gearbeitet, aufgeladen mit konkreter politischer Intension, dass ich das Bedürfnis hatte, etwas ganz leichtes zu machen. Auch hatte ich Lust die Worte wegzulassen und nur den Klang stehen zu lassen. Ich habe ja sehr viel Arbeiten mit glassklarem politischem Text veröffentlicht. Mit “Solidicity” wollte ich diese Herausforderung weglassen und, ehrlich gesagt: etwas Spaß haben. Es ist unsagbar leichter, obwohl ich mich schon als Poetin sehe. Viele Tracks sind im Flugzeug auf dem Weg zu einem Konzert auf dem iMPCpro entstanden, ich spiele gern super frisches Material. Auch nehme ich die Ausführung, ähm, nicht mehr so wichtig, ich bin an einem Punkt der Direktheit angekommen. Material kreieren und raus damit. Es gibt natürlich Ausnahmen. Meine nächste Arbeit beschäftigt sich mit Russischem Text, Feminismus und Klang.
Es war übrigens fantastisch “Solidicity” im Berghain zu spielen, weil es unheimlich ballert! Hehe
Die Titel des Albums repräsentieren, was mich inhaltlich zur Zeit beschäftigt: unsere Komplizenschaft am Kolonialismus, dem Syrischem Krieg, der Ausbeutung von den Resources unseres Planets, Intersektionaler Feminismus, Netzwerke und die Inspiration aus der nicht-menschlichen Welt.
Sonae “xxx” (Retouche: Leila Ivarsson)
“I Started Wearing Black” von Sonae erscheint am 13. April 2018 auf Monika Enterprise.
“Solidicity” von AGF ist bereits auf AGF Produktion erschienen.